AMB 2009, 43, 76
Adjuvante Therapie des Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms in der Postmenopause: Aromatasehemmer versus Tamoxifen – die Debatte geht weiter
Die adjuvante Hormontherapie des Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms ist eine wirksame Therapie, die das Risiko der Patientinnen, ein Rezidiv zu erleiden und an ihrer Tumorkrankheit zu sterben, signifikant verringert. Für postmenopausale Patientinnen war Jahrzehnte lang Tamoxifen (TAM) die Therapie der Wahl. In der Behandlung der metastasierten Erkrankung haben Aromatasehemmer (AI) seit vielen Jahren einen gesicherten Stellenwert. Die randomisierten Studien zu AI in der adjuvanten Situation, über die wir mehrfach berichtet haben (1-3), zeigen – entweder „up-front” oder nach 2-5 Jahren TAM eingesetzt – eine signifikante Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens („disease-free survival” = DFS). Daraufhin hat im Januar 2005 die American Society of Oncology (ASCO) in ihrem Statusreport zum Einsatz von AI in dieser Situation erklärt, die adjuvante Therapie des Rezeptor-positiven Mammakarzinoms postmenopausal „sollte einen AI beinhalten, um das Risiko eines Tumorrezidivs zu vermindern” (4). Dies könne entweder „up-front” über fünf Jahre oder nach 2-3 Jahren TAM als sog. „switch” erfolgen. Seitdem ist der Einsatz von AI praktisch weltweit akzeptiert und für die Hersteller eine Erfolgsstory.
Ein Kommentar zu diesem Thema von B. Seruga und I.F. Tannock in der Februar-Ausgabe des J. Clin. Oncol. unter dem provozierenden Untertitel: „… der Kaiser hat ja keine Kleider an” nimmt zu dieser Praxis anhand der aktuellen Datenlage kritisch Stellung (5).
Im 8-Jahre-Update der ATAC-Studie (6), in der Anastrozol fünf Jahre lang verglichen wurde mit ebenfalls fünf Jahre lang TAM, zeigte sich – wie in den vorangegangenen Updates – ein signifikanter Unterschied zugunsten von AI im DFS, nicht jedoch im Gesamtüberleben (OS). Die vergleichbare Studie BIG 1-98 (7), in der die Wirksamkeit des AI Letrozol mit TAM ebenfalls über fünf Jahre verglichen wird, zeigt bei kürzerer Laufzeit den gleichen Effekt: Vorteil im DFS bei nicht signifikantem Unterschied im OS. Besonderes Augenmerk richten Seruga und Tannock auf die Zunahme von „nicht-Tumor-assoziierten Todesfällen” in der AI-Gruppe der ATAC-Studie, wodurch ein möglicher Tumor-assoziierter Überlebensvorteil durch AI konterkariert wird.
Ein Grund, trotz des fehlenden Überlebensvorteils doch AI dem TAM vorzuziehen, wäre die bessere Verträglichkeit. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein. Zwar ist in der ATAC-Studie das Profil der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) von AI als recht günstig beschrieben, doch sind hier wichtige UAW entweder nicht dokumentiert oder als wesentlich seltener angegeben als in mehreren Berichten über Nicht-Studienpatientinnen (z.B. 8), in denen über 45-60% Arthralgien und 20% Medikationsabbrecher unter AI berichtet wird. In einem Kommentar zur ATAC-Publikation schreiben A. Coates et al. in Lancet Oncology: „Wenn man nicht schaut, findet man auch nicht” (9).
Das DFS ist, wie auch im AMB nachzulesen, nur dann ein valider Endpunkt einer Studie, wenn das DFS mit dem OS korreliert (10). Die Erwartung, dass mit zunehmender Beobachtungszeit sich auch in der ATAC-Studie ein OS-Vorteil einstellt, hat sich auch nach acht Jahren nicht erfüllt. Insofern ist auch die Kosten-Nutzen-Analyse der AI-Therapie im Vergleich zu TAM kritisch zu hinterfragen. Bei den publizierten Analysen wurde nämlich davon ausgegangen, dass sich der Vorteil im DFS früher oder später auch im OS niederschlagen würde und damit die wesentlich höheren Kosten der AI-Therapie zu rechtfertigen wären (11).
Die Frage, ob durch Gentypisierung Patientinnen identifiziert werden können, die auf TAM ansprechen bzw. nicht ansprechen, ist noch nicht beantwortet und damit auch die Diskussion, welcher Wirkstoff eingesetzt werden soll, nicht beendet.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass der primäre Einsatz von AI in der adjuvanten Therapie des Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms nur dann gerechtfertigt ist, wenn Kontraindikationen (z.B. Thromboseneigung) für TAM vorliegen. Bei allen anderen Patientinnen ist, solange nicht neue Ergebnisse vorliegen, primär der Einsatz von TAM vorzuziehen. Die Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von 2007 zur „wirtschaftlichen Verordnungsweise” der Aromatasehemmer (AI) der dritten Generation (Anastrozol = Arimidex®, Exemestan = Aromasin®, Letrozol = Femara®) sind somit unverändert gültig (12).
Fazit: Tamoxifen bleibt die Therapie der ersten Wahl bei der adjuvanten Behandlung des postmenopausalen Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms. Der unkritische Einsatz von Aromatasehemmern ist nicht gerechtfertigt, da sie nicht weniger toxisch, aber wesentlich teurer sind als Tamoxifen und ein Zusatznutzen bisher nicht überzeugend gezeigt wurde.
Literatur
- AMB 2004, 38, 14.
- AMB 2005, 39, 30.
- AMB 2005, 39, 81.
- Winer, E.P., et al.: J. Clin. Oncol. 2005, 23, 619 15545664.
- Seruga, B., und Tannock, I.F.: J. Clin. Oncol. 2009, 27, 840 19139426.
- Forbes, J.F., et al. (ATAC = Arimidex, Tamoxifen, Alone or in Combination): Lancet Oncol. 2008, 9, 45 18083636.
- Coates, A.S., et al. (BIG 1-98 = Breast International Group 1-98): J. Clin. Oncol. 2007, 25, 486 17200148.
- Crew, K.D., et al.: J. Clin. Oncol. 2007, 25, 3877 17761973.
- Coates, A., et al. (BIG 1-98 = Breast International Group 1-98): Lancet Oncol. 2008, 9, 315 18374287.
- AMB 2009, 43, 47b.
- Locker, G.Y., et al. (ATAC = Arimidex, Tamoxifen, Alone or in Combination): Breast Cancer Res. Treat. 2007, 106, 229 17245540.
- http://www.akdae.de/40/50/Aromatasehemmer.pdf
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