AMB 2013, 47, 35
Bei Gonarthrose mit Meniskusläsion ist eine arthroskopische Operation als primäre Behandlung meistens nicht erste Wahl
Bei etwa 6% der erwachsenen Bevölkerung finden sich radiologische Zeichen einer Gonarthrose. Dabei korreliert der radiologische Befund einer Gonarthrose nicht mit der Häufigkeit klinischer Beschwerden. Nur etwa 15% klagen über Knieschmerzen.
In der Altersgruppe der 70-74-Jährigen beträgt die Häufigkeit der Gonarthrose bis zu 40% (1). Arthroskopische Eingriffe (Debridement und Lavage) werden bei Gonarthrose häufig durchgeführt. Sie sind aber, was Funktionserhalt oder Schmerzen anbetrifft, weder einer Scheinoperation noch einer nicht-operativen Standardtherapie (Physiotherapie, Pharmakotherapie) überlegen. Zu diesem Ergebnis kam ein Cochrane Review aus dem Jahre 2007 auf der Basis von drei randomisierten kontrollierten Studien (RCT; 2).
Bei Gonarthrose bestehen häufig auch Schäden an den Menisken. Es ist klinisch kaum zu unterscheiden, ob die Beschwerden durch die Arthrose mit Gelenkentzündung oder durch den begleitenden Meniskusschaden oder durch beides verursacht werden. Daher werden die Betroffenen sehr häufig arthroskopisch auch an den Menisken operiert. Die Wirksamkeit dieser Operation wurde bislang nur in einer kleinen Studie mit 90 Patienten untersucht (3). Dabei fand sich kein Vorteil durch das operative Vorgehen.
Eine Gruppe von Kliniken in den USA hat nun eine unverblindete RCT zu dieser Frage durchgeführt (4). Die MeTeOR-Studie sollte bei symptomatischen Patienten die Effektivität einer arthroskopisch durchgeführten partiellen Meniskektomie, kombiniert mit standardisierter Physiotherapie (PT) mit einer PT alleine vergleichen. Sponsor dieser Studie waren die National Institutes of Health.
Eingeschlossen wurden symptomatische Patienten ≥ 45 Jahre mit Meniskuseinriss und milder bis moderater Gonarthrose (Nachweis mit konventioneller Röntgen-Untersuchung oder MRT). Die Kniebeschwerden mussten trotz Schonung, Arzneimittel- oder physikalischer Therapie mindestens einen Monat lang bestehen. Ausgeschlossen wurden u.a. Patienten mit chronischen Kniegelenkblockaden, schweren Gelenkdestruktionen (Kellgren-Lawrence Grad 4), aktiver Gonarthritis oder vorangegangener Operation am betroffenen Knie.
Die einwilligenden Patienten wurden nach einem 1:1-Schlüssel in eine operative (OP+PT) und eine konservative Gruppe (nur PT) gelost. Bei der Randomisierung wurden das Geschlecht und der Grad der Osteoarthrose berücksichtigt (Kellgren–Lawrence Graduierung). Patienten, die für die ausschließliche PT gelost wurden, hatten die Möglichkeit, im Studienverlauf zur Operation zu wechseln (Crossover), wenn Patient und Operateur der Meinung waren, dies sei notwendig.
Die chirurgische Behandlung durfte nur von nachweislich geübten Operateuren vorgenommen werden. Die Operationstechnik wurde vorgegeben und mittels Telefonkonferenzen und Studienmeetings vereinheitlicht. Operierte und nicht operierte Patienten wurden nach dem gleichen Protokoll physiotherapeutisch behandelt. Die Patienten gingen ein- bis zweimal wöchentlich zur PT und mussten die Übungen auch zu Hause durchführen. Durchschnittlich dauerte das PT-Programm sechs Wochen. Die Adhärenz und unerwünschte Ereignisse (UE) wurden mittels Telefoninterviews kontrolliert. Alle Patienten durften Paracetamol oder NSAID nach Bedarf einnehmen; auch intraartikuläre Steroid-Injektionen waren erlaubt.
Der primäre Studienendpunkt von MeTeOR war die Veränderung auf der Funktionsskala des zu diesem Zwecke gut etablierten „Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index” (WOMAC; 0-100 Punkte) innerhalb von sechs Monaten nach Therapiebeginn. Sekundäre Endpunkte waren Veränderungen auf einem Schmerz- (Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Scale = KOOS) sowie einem Aktivitäts-Score (36-Item Short-Form Health Survey = SF-36). Die Fragebögen wurden zu Studienbeginn sowie nach 3, 6 und 12 Monaten beantwortet. Die Studiengröße wurde so berechnet, dass eine 10-Punkte-Differenz auf der WOMAC-Skala mit einem Fehler von 5% und einer statistischen Power von 80% nach sechs Monaten erkannt werden konnte.
Ergebnisse: In drei Jahren (2008-2011) wurden an sieben Zentren insgesamt 14.430 Patienten mit Kniegelenkbeschwerden gescreent. Davon erfüllten 1.330 (9,2%) die geforderten Einschlusskriterien. Von diesen wurden schließlich 351 (26,4%) tatsächlich eingeschlossen. Der häufigste Grund warum Patienten nicht eingeschlossen wurden, war ihre Präferenz für ein operatives bzw. für ein konservatives Vorgehen. Die randomisierten Patienten in den beiden Behandlungsgruppen unterschieden sich nicht in den Basischarakteristika (mittleres Alter 58 Jahre, 57% Frauen, mittlerer BMI 30, mittlerer WOMAC-Score 37, mittlerer KOOS-Score 47, mittlerer SF-36-Score 44). Leider werden keine Angaben dazu gemacht, ob und in wieweit sich die 979 Patienten, die nicht in die Studie einwilligten, von den 351 Studienpatienten unterschieden. Dies wäre wichtig, im Hinblick auf einen möglichen Selektionsbias.
Neun der 174 für die Operation randomisierten Patienten wurden letztlich nicht operiert und 51 der 177 für die PT randomisierten Patienten wurden im Verlauf operiert (30% Crossover). Dabei schwankte die Crossover-Rate zwischen den einzelnen Zentren erheblich (0-56%), was wohl die Präferenz der Ärzte widerspiegeln dürfte. Während der sechsmonatigen Nachbeobachtung wurden in der OP+PT-Gruppe 13 und in der PT-Gruppe acht Patienten verloren.
Das Ergebnis der Intention-to-treat-Analyse war eindeutig. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsstrategien. Die mittlere Verbesserung des WOMAC-Scores betrug nach sechs Monaten 20,9 Punkte in der OP-Gruppe und 18,5 Punkte in der PT Gruppe. Auch bei Patienten mit schwereren Gelenksdestruktionen fand sich kein Vorteil für die Operation. Hinsichtlich der Knieschmerzen (KOOS-Score) betrug der mittlere Abfall 24,2 Punkte in der OP+PT Gruppe und 21,3 Punkte in der PT-Gruppe. Auch nach 12 Monaten war der Unterschied zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich WOMAC- und KOOS-Score gleich.
Nach einer Per-protocol-Analyse hatten 67,1% der Patienten, die letztlich operativ behandelt wurden, nach sechs Monaten eine Verbesserung auf der WOMAC-Skala von mindestens acht Punkten im Vergleich zu 43,8% in der PT-Gruppe (p = 0,001). PT-Patienten, die im Studienverlauf zur Operation gekreuzt waren, hatten nach 12 Monaten den gleichen WOMAC-Score wie die Patienten, die primär für die OP randomisiert worden waren.
In der PT-Gruppe erhielten 21 Patienten (12,4%) intraartikuläre Steroid-Injektionen und in der OP+PT-Gruppe neun Patienten (5,6%). Ein Kniegelenkersatz wurde bei fünf Patienten in der OP-Gruppe und bei dreien in der PT-Gruppe durchgeführt. Es gab zwischen den beiden Gruppen keine Unterschiede bei den unerwünschten Ereignissen (15 vs. 13).
Fazit: Die MeTeOR-Studie zeigt, dass symptomatische Patienten mit mäßiger oder mittelschwerer Gonarthrose und begleitenden Meniskusläsionen primär zunächst eine standardisierte Physiotherapie erhalten sollten. 70% dieser Patienten kommen im weiteren Verlauf ohne eine Operation aus. Erst wenn sich diese Strategie als nicht erfolgreich erweist, ist es sinnvoll, eine arthroskopische OP mit begleitender Physiotherapie durchzuführen.
Literatur
- Michael, J.W.P., et al.:Dtsch. Arztebl. Int. 2010, 107, 152.
- Laupattarakasem,W., et al.:
- Herrlin, S.,et al.: Knee Surg. Sports Traumatol. Arthrosc. 2007, 15, 393.
- Katz, J.N.,et al. (MeTeOR = Meniscal Tear in Osteoarthritis Research):N. Engl. J. Med. 2013.
Schlagworte zum Artikel:
Gonarthrose, Kniegelenkarthrose, Meniskusläsion, Meniskusschaden, MeTeOR-Studie,
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Wirksamkeitsstudie über Glucosamin-Sulfat bei Gonarthrose 2001, 35, 23
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