AMB 2010, 44, 73
Unterschiede von Arzneimittelwirkungen und -therapie bei Frauen und Männern in der Kardiologie
Zusammenfassung: Frauen haben meist eine geringere Körpermasse als Männer, eine andere Körperzusammensetzung, eine geringere renale Clearance und teilweise eine andere Metabolisierung von Arzneimitteln durch P450-Zytochrome und andere Enzymsysteme. In der Kardiologie müssen daher bei Frauen oft niedrigere Arzneimitteldosierungen gewählt werden. Auch geringere Krankheitsrisiken (z.B. bei Hypercholesterinämie) oder erhöhte Krankheitsrisiken (z.B. bei Diabetes mellitus) als bei Männern machen eine unterschiedliche Beurteilung und Behandlung notwendig. Darüber hinaus gibt es medizinisch bisher nicht erklärbare Unterschiede in der praktizierten Behandlung zwischen Männern und Frauen, die weiter analysiert werden müssen.
Da das Thema wichtig und aktuell ist (1), nehmen wir es nach unserem Artikel im Jahr 2009 (2) noch einmal auf.
Trotz gleicher Dosis sind die Wirkspiegel von Arzneimitteln bei Männern und Frauen nicht selten unterschiedlich: Frauen haben in der Regel ein niedrigeres Körpergewicht, eine etwas andere Körperzusammensetzung (relativ weniger Muskelmasse, mehr Fett und Wasser), eine niedrigere renale Clearance sowie einen unterschiedlichen Metabolismus in Aktivierung und Abbau, z.B. durch Zytochrome. Sehr oft werden Arzneimittel langsamer abgebaut und/oder ausgeschieden. Daher kommt es z.B. bei Frauen, die Digitalispräparate einnehmen, häufiger zu unerwünschten Wirkungen und Intoxikationen (2-4). Darauf ist möglicherweise – wie mehrfach berichtet – die höhere Letalität bei Frauen mit Herzinsuffizienz in der bekannten DIG-Studie zurückzuführen (5). Digitalispräparate sind, bei richtiger Anwendung und gegebenenfalls Kontrollen des Serumspiegels, aber bei Frauen nicht kontraindiziert.
Der Arzneimittelabbau durch P450-Zytochrome wird durch Sexualhormone beeinflusst (s. Tab. 1). Ein bei Frauen verzögerter Abbau kann dafür sorgen, dass trotz gleicher Dosis die Wirkspiegel spezieller Arzneimittel höher und damit ihre Wirkungs- und UAW-Profile verändert sind. Ein Beispiel dafür ist Metoprolol (und andere Betarezeptoren-Blocker), das über das P450-Isoenzym 2D6 abgebaut wird. Dieses Isoenzym ist bei Frauen weniger aktiv. Folglich sind die Wirkspiegel und die Zahl der UAW bei Frauen, die Metoprolol erhalten, deutlich höher (4). Dies muss bei der Dosierung berücksichtigt werden. Dass bei Frauen die Dosierungen oft niedriger angesetzt werden müssen als bei Männern, wird jedoch in Studien und in der Praxis häufig nicht beachtet und in den Fachinformationen nicht ausreichend betont. Der Wirkspiegel eines Arzneimittels ist entscheidend. Wahrscheinlich sind Überdosierungen ganz wesentlich dafür verantwortlich, wenn bei Frauen UAW insgesamt häufiger vorkommen als bei Männern.
Auf die besondere Empfindlichkeit von Frauen bei Therapie mit Arzneimitteln, die die Repolarisationsphase des Herzens verlängern (QT-Zeit im EKG), sind wir bereits früher ausführlich eingegangen (2).
Aber es gibt auch Unterschiede in der Wirksamkeit bei Arzneimitteln, die keine pharmakologische Ursache haben, sondern in geschlechtsspezifischen Unterschieden der Krankheitsrisiken begründet sind. Frauen haben z.B. bei gleichem Lebensalter, Blutdruck und Cholesterinwert ein niedrigeres Risiko, einen Herzinfarkt oder andere schwer wiegende Gefäßkomplikationen zu erleiden als Männer (s. Abb. 1). Bei niedrigem Gesamtrisiko können cholesterinsenkende Arzneimittel absolut nicht viel bewirken, jedenfalls nicht so viel wie bei Männern mit ihrem höheren Gesamtrisiko. Andererseits ist das kardiovaskuläre Risiko bei Männern mit Diabetes mellitus bereits verdoppelt und bei Frauen noch höher. Dadurch ist bei Frauen der absolut zu erzielende Nutzen einer Therapie größer als bei Männern. Dem sollte mit besonders sorgfältiger Therapie des Diabetes Rechnung getragen werden. Bei diabetischen Frauen mit akutem Myokardinfarkt ist auch die Letalität im Krankenhaus etwa dreimal so hoch wie bei Männern! Das belegen Daten, z.B. aus dem Berliner Herzinfarktregister (s. Tab. 2; 7). Diabetes ist also bei Frauen gefährlicher als bei Männern und müsste daher, ebenso wie die begleitenden Krankheiten (Hypertonie, Hypercholesterinämie) deutlich intensiver behandelt werden. Ist das so in der Praxis?
Es gibt Unsicherheiten darüber, ob ASS bei Frauen zur Myokardinfarkt-Prophylaxe überhaupt wirksam ist. In der Women’s Health Study war eine solche Wirksamkeit nicht nachweisbar (8). Bei 39876 gesunden Frauen > 45 Jahre wurde zur primären Prävention entweder jeden zweiten Tag 100 mg ASS oder Plazebo für im Mittel zehn Jahre gegeben. ASS hatte insgesamt keinen Effekt auf die Häufigkeit tödlicher oder nicht-tödlicher Herzinfarkte (RR: 1,02; p = 0,83). Das stand im deutlichen Gegensatz zu den aus anderen Studien bekannten Ergebnissen bei gleichaltrigen Männern, bei denen auch bei primärer Prävention ASS gering wirksam (aber von Blutungskomplikationen begleitet) war. Ein Blick auf die Abb. 1 zeigt, dass das Gesamtrisiko sehr vieler Frauen bereits so niedrig ist, dass von einem Arzneimittel kaum eine zusätzliche präventive Wirkung mehr erwartet werden kann. Der Wirksamkeitsunterschied von ASS bei Frauen und Männern ist also nicht in einer geschlechtstypischen unterschiedlichen Pharmakodynamik der ASS begründet, sondern im primär unterschiedlichen Ausgangsrisiko für die Entwicklung von Gefäßkomplikationen. Bei Frauen mit höherem Gesamtrisiko oder in der Sekundärprävention bei Männern und Frauen ist ASS natürlich relevant wirksam (9).
Ähnliche Unsicherheiten wie bei ASS gibt es auch bezüglich der präventiven Wirksamkeit von Statinen bei Frauen. Die Wirksamkeit ist auch hier insgesamt weniger signifikant als bei Männern (10). Das mag einmal darin begründet sein, dass in den großen Studien zum Thema (ASCOT-LLA [11], 4S [12], CARE [13], LIPID [14]) nur etwa ein Viertel der untersuchten Patienten Frauen waren und schon daher die Signifikanz der Wirksamkeitsunterschiede meist kleiner ist. Zum anderen ist aber auch hier bei vielen Frauen das Gesamtrisiko so gering, dass bestenfalls nicht-signifikante Effekte zu erwarten sind. Daher ist bei sonst gesunden Frauen bei gleichem Ausgangswert des Serumcholesterins die Wirksamkeit von Statinen geringer und oft nicht signifikant. Frauen müssen also seltener mit Statinen behandelt werden. Bei hohem Gesamtrisiko, zum Beispiel in der sekundären Prävention, sind Statine aber auch bei Frauen relevant wirksam.
Andere Besonderheiten in der Therapie von Frauen sind medizinisch weniger gut zu erklären. Frauen werden z.B. trotz gegebener Indikation (z.B. sekundäre Prävention) aus unerfindlichen Gründen oft weniger intensiv behandelt als Männer. Das soll im Folgenden an zwei Beispielen gezeigt werden. In einer großen epidemiologischen Fragebogenerhebung (15) in 3795 Praxen niedergelassener Ärzte in Deutschland zu Diagnostik und Therapie von 55.518 Patienten ergab sich, dass Frauen mit Koronarer Herzkrankheit (also bei sekundärer Prävention) im Alter zwischen 55 und 64 Jahren deutlich seltener mit Thrombozytenaggregationshemmern (48% vs. 60%), Betablockern (60% vs. 70%), ACE-Hemmern (40% vs. 52%) und Statinen (44% vs. 50%) behandelt wurden als Männer. Nur AT-II-Rezeptor-Antagonisten erhielten sie häufiger (25% vs. 18%). Bezüglich der Statine und Antidiabetika gibt es ähnliche Beobachtungen aus den USA (16).
Auch aus der Intensivmedizin gibt es ein Beispiel für zurückhaltendere Therapie. Frauen mit akutem Herzinfarkt werden im Vergleich zu Männern initial seltener interventionell (rekanalisierend) behandelt. Das belegen die Zahlen aus verschiedenen nationalen und internationalen Herzinfarktregistern (17-20). Ob die höhere Letalität im Krankenhaus bei Frauen mit akutem Myokardinfarkt damit in Zusammenhang steht, ist nicht direkt nachweisbar. Die Assoziation gibt aber zu denken, auch wenn die Ursachen unklar sind. Medizinische Gründe sind nicht erkennbar. In den letzten Jahren haben sich die Behandlungs- und Ergebnisunterschiede zwischen Männern und Frauen mancherorts etwas zurückgebildet (21). Aber es bleiben unerklärte Differenzen.
Literatur
- Regitz-Zagrosek, V.: Dtsch. Arztebl. 2010, 107, A 1682-4.
- AMB 2009, 43, 41.
- Regitz-Zagrosek, V., et al.: Internist 2008, 49, 1383.
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- Maier, R., et al.: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2005, 48, 1176.
- Vaccarino, V., et al.: N. Engl. J. Med. 2005, 353, 671.
- Maier, B., und Theres, H.: Berliner Herzinfarktregister 2010. Pers. Mitteilung
Schlagworte zum Artikel:
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